Vorstellungstraining
„Ich habe schon tausend Mal Wimbledon in meiner Vorstellung gewonnen,
bevor ich es wirklich gewonnen habe." (André Agassi, ehemaliger Tennisprofi)
Wie das Zitat von André Agassi andeutet, ist die Kraft der Vorstellung ein mächtiges und vielleicht sogar im Hochleistungssport ein notwendiges Instrument, um seine Ziele zu erreichen. Durch einen systematischen Einsatz vom Vorstellungstraining können auch Sie ihre Leistung optimieren. Im Rahmen dieses Beitrags werden Praktiken, Anwendungsgebiete und Tipps zur Umsetzung des Vorstellungstrainings aufgezeigt.
Um das Vorstellungstraining in der Praxis erfolgreich umzusetzen, haben sich die vier Wʼs als eine hilfreiche Strategie erwiesen: Wo, Wann, Warum und Was des Vorstellungstrainings.
1. Wo wird das Vorstellungstraining praktiziert?
Zunächst sollte das Vorstellungstraining in ruhiger Umgebung in Kombination mit Entspannungsübungen außerhalb des Sportplatzes antrainiert werden, bis ein gewisses Niveau erreicht wird. Sind gewisse Grundlagen gelegt, kann mit dem Vorstellungstraining auf dem Sportplatz weitergemacht werden.
2. Wann sollte das Vorstellungstraining umgesetzt werden?
Das Vorstellungstraining kann vor, während und nach dem Wettkampf praktiziert werden.
Vor dem Wettkampf wird das Vorstellungstraining als mentales Aufwärmprogramm benutzt.
Während des Wettkampfes eignen sich kleine Pausen, um kurze Vorstellungen der bevorstehenden Handlungen zu erzeugen.
Nach dem Wettkampf wird das Vorstellungstraining benutzt, um den eigenen Wettkampf aufzuarbeiten und kritische Momente nochmals durchzugehen.
3. Warum wird mental praktiziert?
Vorstellungstraining hat zwei Funktionen: motivationale und kognitive Aspekte ansprechen.
Beim Visualisierungstraining, das auf motivationale Aspekte abzielt, werden spezifische Ziele (z.B. gewonnene Wettkämpfe) visualisiert. Solch eine Visualisierung erhöht stark die Motivation, stellt neue Energien kurzfristig bereit und wirkt sich langfristig positiv auf den Trainingsfleiß aus.
Das Vorstellungstraining, das kognitive Aspekte fokussiert, beinhaltet die Vorstellung von erfolgreich durchgeführten Bewegungen, spezielle taktische Vorgehensweisen oder erwünschte emotionale Zustände.
4. Was sollte beim Vorstellungstraining praktiziert werden?
Die Inhalte der Vorstellung können höchst unterschiedlich sein. Je nachdem an welchen Kanälen (visuell oder kinästhetisch) die einzelnen Athleten ansprechbar sind und welche Perspektive (innere oder äußere) sie präferieren, können unterschiedliche Aspekte visualisiert werden.
Es gibt mehrere Faktoren, die die Effektivität des Vorstellungstrainings beeinflussen. Berücksichtigen Sie diese Aspekte, um den Nutzen des Vorstellungstrainings zu maximieren:
Visualisierte Situation. Bestimmte Bewegungen sind einfacher durch die Visualisierung zu erreichen, da sie stärker unter der eigenen Kontrolle liegen als andere. Mit zunehmender Abhängigkeit der Ausführung der eigenen Bewegungen vom Handeln des Gegners, sinkt die Wirksamkeit des Vorstellungstrainings.
Das Leistungsniveau. Experimentelle Studien zeigen, dass das Visualisierungstraining sowohl bei unerfahrenen als auch bei erfahrenen Athleten signifikante Verbesserungen erzeugt. Die Effekte sind jedoch bei erfahrenen Athleten größer als bei unerfahrenen.
Vorstellungsfähigkeit. Die Vorstellungsfähigkeit bezieht sich vor allem auf die Lebendigkeit und die Kontrollierbarkeit der eigenen Vorstellungen. Da ein gewisses Maß an Vorstellungsfähigkeit eine Voraussetzung für das Vorstellungstraining ist, sollte die Vorstellungsfähigkeit im Vorfeld trainiert werden
Kombination von Vorstellungstraining und physischem Training. Die Effekte des Vorstellungstrainings werden höher ausfallen, wenn es mit dem körperlichen Training kombiniert wird. Der Bewegungsablauf kann viel leichter abgerufen werden, wenn er auch physisch trainiert wird.
Anschauen von Videoaufzeichnungen. Das Anschauen von Videoaufzeichnungen erleichtert die visuelle Vorstellung. Dabei können Videos von sich selbst als auch von anderen Athleten benutzt werden.
Bedürfnisse des Athlets berücksichtigen
Bevor das Vorstellungstraining überhaupt angewendet wird, sollten die Motive und Bedürfnisse des Athlets berücksichtig werden. In Übereinkunft mit dem Athlet sollen die Inhalte des Vorstellungstrainings erarbeitet werden. Dadurch soll die Motivation zur Durchführung des Vorstellungstrainings aufgebaut werden.
Das Niveau der Vorstellungsfähigkeit bestimmen
Ein weiterer Schritt vor der Durchführung des Vorstellungstrainings ist die Feststellung des Niveaus der Vorstellungsfähigkeit. In der Praxis hat sich hierfür die Fragebogenmethode durchgesetzt. Im deutschsprachigen Raum hat sich der Mental Imagery Questionnaire (MIQ) von Hall et al. (1985) und seine deutsche Version von Ziemainz et al. (2003) etabliert. Dabei wird zunächst geprüft, ob der Athlet eher auf die visuellen oder eher auf kinästhetische Kanäle anspricht und in welchem Ausmaß. In Abhängigkeit von diesem Ergebnis können die Umsetzungsstrategien spezifiziert werden.
Realistische Erwartungen und notwendige Motivation aufbauen
Es gilt zunächst eine richtige Aufklärungsarbeit zu leisten, die ein realistisches Bild vom Vorstellungstraining erzeugt. In Wirklichkeit verbessert das Vorstellungstraining das Leistungsniveau nur dann wenn es systematisch über einen längeren Zeitraum (über Monate und Jahre) praktiziert wird.
In ruhiger Umgebung praktizieren
Gerade wenn Sie mit dem Vorstellungstraining beginnen, sollten Sie in ruhiger Umgebung, die keine Ablenkung bietet, praktizieren. Mit zunehmender Erfahrung können Sie Ihre mentalen Praktiken auch in anderen Settings anwenden.
Systematisch aufbauen
Bauen Sie die mentalen Übungen schrittweise auf! Es empfiehlt sich mit einfachen Entspannungsübungen (z.B. Atementspannung) zu beginnen und dann schrittweise komplexere Vorstellungsübungen vorzunehmen. Seien Sie sich dabei bewusst, dass diese Prozesse Zeit brauchen, bevor die Vorstellungstechniken auch im Wettkampf funktionieren.
Rituale berücksichtigen
Bevor die Vorstellungstechniken positive Effekte auf die Leistung zeigen, müssen sie in die täglichen Rituale sowie Rituale währen des Wettkampfes sinnvoll eingebettet werden. Zunächst wirken die Vorstellungstechniken störend, weil sie womöglich den Athleten überfordern und mentale Energie für regelmäßigen Einsatz erfordern. Erst wenn sich die Automatismen im Alltag, im Training und beim Turnier herausgebildet haben, werden die Erfolge sichtbar. Dafür brauchen Sie Geduld und Ausdauer.
Positiven Fokus behalten
Beim mentalen Training sollten möglichst positiven Vorstellungen erzeugt werden, die einen erfolgreichen Ausgang des Wettkampfes oder der Handlung vorsehen. Eigene Fehler sollten nicht im Mittelpunkt des Vorstellungstrainings stehen. Denn die Forschung hat gezeigt, dass mehrfache Vorstellung von negativen Ereignissen schlechtere Leistung nach sich zieht. Wer sich Fehler vorstellt, wird auch mehr Fehler machen. Wenn Fehler vorgestellt werden, dann nur um den positiven Umgang mit Fehlern zu üben.
Verwenden Sie die Knotenpunkte
Als eine praktische Art der Umsetzung des Vorstellungstrainings hat sich die Knotenpunkt-Konzeption nach Eberspächer (2001) etabliert. Dabei wird eine Bewegung zuerst aus der Sicht des Athleten detailliert beschrieben. Im zweiten Schritt werden die Knotenpunkte herausgearbeitet. Im dritten Schritt werden die Knotenpunkte symbolisch markiert und rhythmisiert. Schließlich werden die symbolisch markierten und rhythmisierten Knotenpunkte beim Vorstellungstraining eingesetzt.
Videos als Unterstützung nutzen
Um die visuelle Vorstellung zu erleichtern, schauen Sie sich Videos vom eigenen Wettkampf an! Anschauen von Videos hat eine ähnliche Wirkung wie das Vorstellungstraining selbst. Die gleichen Prozesse im zentralen Nervensystem werden dadurch angeregt. Das Anschauen von Wettkämpfen von Profis wird Ihnen ebenfalls helfen, Vorstellungen zu erzeugen und sie im Wettkampf umzusetzen.
Üben in Echtzeit
Die mentalen Übungen sollten so realistisch wie möglich sein. Optimaler Weise sollten die Übungen mit der gleichen Geschwindigkeit wie die echten Bewegungen im Geiste abgespielt werden. Beim Aneignen von neuen Techniken können auch Slow-Motion-Vorstellungen erzeugt werden, um den Bewegungsablauf zu präzisieren. Doch mit zunehmender Praxis sollten die mentalen Bewegungen im Kopf so ähnlich wie die realen Bewegungen auf dem Sportplatz ablaufen.