Humboldt-Universität zu Berlin - Abteilung Sportsoziologie

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Sozialkapital und Bürgerkompetenz - Soziale und politische Integrationsleistungen von Vereinen

Projektbeschreibung

Zusammenfassung

Die allgemeine Zielstellung des Forschungsprojekts besteht darin, erstmals zentrale Thesen über die sozialen und politischen Integrationsleistungen von Vereinen auf theoretischer und empirischer Ebene systematisch zu untersuchen.

Problemstellung

Die zentralen Thesen zu den sozialen und politischen Integrationsleistungen von Vereinen lassen sich in einer doppelten Argumentationsfigur bündeln, die sich vereinfacht wie folgt zusammenfassen lässt:

  • Erstens wird argumentiert, dass Individuen, die in einem Verein Mitglied sind, immer auch in die jeweilige „Wahlgemeinschaft“ sozial integriert seien. Die Mitgliedschaft wird also mit einem – in der Regel nicht weiter spezifizierten – sozialen Einbezug des Individuums in den jeweiligen Verein gleichgesetzt. Diese Argumentationsfigur wird im Rahmen des Forschungsprojekts als Binnenintegration der Mitglieder in einen Verein bzw. als binnenintegrative Leistungen von Vereinen bezeichnet.
  • Zweitens wird argumentiert, dass Vereine ihre Mitglieder grundsätzlich in die Gesellschaft integrieren. Diese „grenzüberschreitende“ Argumentationsfigur basiert auf einer bislang nicht weiter elaborierten Transferannahme: Demnach erwirbt der Einzelne durch die Binnenintegration in einen Verein bestimmte Kompetenzen und Dispositionen, die ihn befähigten, auch in anderen gesellschaftlichen Kontexten sinnhaft, verständig und erfolgreich zu agieren. Diese Argumentationsfigur bezeichnen wir im Rahmen des Forschungsprojekts als Außenintegration der Mitglieder in die Gesellschaft bzw. als außenintegrative Leistungen von Vereinen.

Auf diese außenintegrativen Leistungen konzentriert sich die Debatte über die sozialen Integrationsleistungen von Vereinen seit dem vor mehr als 150 Jahren ver-fassten und nach wie vor sehr einflussreichen Reisebericht von Alexis de Tocqueville über die Demokratie in Nordamerika. Die Schwerpunkte dieser Debatte wurden in den letzten Jahren insbesondere in den umfangreichen Diskussionen über „Sozialkapital“ und „Bürgerkompetenz“ gebündelt. Beide Diskussionslinien stellen wesentliche Orientierungspunkte des Forschungsprojekts dar:

Mit dem Begriff des Sozialkapitals wird in der an Robert Putnam orientierten Sozialkapital-Forschung zweierlei bezeichnet: einerseits soziales Vertrauen, das die Kooperation zwischen Individuen erleichtere, und andererseits die Norm generalisierter Reziprozität, die zur Lösung sozialer Dilemmata beitrage. Als Quelle bzw. „Generator“ von sozialem Kapital gelten insbesondere lokale Vereine wie z.B. Sport, Gesang- oder Musikvereine. Denn in diesen sozial „überschaubaren“ Vergemeinschaftungen bestünden besonders ausgeprägte Gelegenheitsstrukturen zu face-to-face-Interaktionen und zum Aufbau dichter, stabiler sozialer Beziehungen, so dass sich zwischen den Mitgliedern soziales Vertrauen und Reziprozitätsnormen herausbilden könnten. Dieses Vertrauen erstrecke sich wiederum als generalisiertes Vertrauen über alle gesellschaftlichen Bereiche und reduziere somit die Notwendigkeit zur sozialen Kontrolle, womit wiederum eine Kostenreduktion in den Sektoren Staat und Markt verbunden sei.

Die Thesen der Sozialkapital-Forschung wurden u.a. in die aktuelle Diskussion über Bürgerkompetenz aufgenommen. In Anlehnung an die klassische Vorstellung vom Verein als „Schule der Demokratie“ gelten Vereine dabei einerseits als „Radiatoren“ kognitiv-prozeduraler Bürgerkompetenz; denn aufgrund ihrer demokratischen Verfasstheit würden die Mitglieder nicht nur in prozedurale Aspekte moderner Demokratien eingeführt werden, sondern sie müssten sich auch in kognitiver Hinsicht mit Fragen von allgemeiner politischer Bedeutung auseinandersetzen. Andererseits werden freiwillige Vereinigungen als „Treibhäuser“ affektiv-habitueller Bürgerkompetenz beschrieben. Diese Kompetenz gilt als wesentliche Grundlage, um den Übergang vom Typus des „interventionsfähigen Bürgers“ zum „Aktivbürger“ zu vollziehen, der auch dann tätig werde, wenn dies nicht im (ausschließlichen) Eigeninteresse läge. Dieses Pflänzchen dieser subjektiven Seite des gemeinwohlorientierten Handelns entwickle der Einzelne vor allem durch die aktive Mitarbeit in der „bürgergesellschaftlichen Praxis“, wie z.B. durch das bürgerschaftliche Engagement bei der Herstellung von Kollektivgütern in Vereinen.

Sämtliche der skizzierten Thesen über Vereine als Generatoren von Sozialkapital sowie als Radiatoren kognitiv-prozeduraler und Treibhäuser habitueller Bürgerkompetenz gewinnen allerdings erst dann an Plausibilität, wenn das Individuum in das normative und interaktive Feld des jeweiligen Sozialsystems längerfristig sozial einbezogen wird und an gemeinsamen Aktivitäten mitwirkt. Es gibt also offenkundig einen theoretisch notwendigen Zusammenhang zwischen der Binnenintegration in einen Verein und den darauf aufbauenden Thesen von der Außenintegration des Mitglieds. Denn nur unter den Bedingungen einer sich prozesshaft vollziehenden Binnenintegration im Sinne einer „organisationalen Sozialisation“ erscheint es grundsätzlich denkbar, dass das Mitglied in der „black box“ eines Vereins Kompetenzen und Dispositionen entwickelt, die womöglich auch dazu beitragen, dass das Mitglied in anderen Sozialzusammenhängen eines demokratisches Gemeinwesens sinnhafter, verständiger und erfolgreicher agieren kann als zuvor. Dieser theoretisch notwendige Zusammenhang zwischen der möglichen Binnen- und der postulierten Außenintegration des Mitglieds wurde in der bisherigen Diskussion allerdings weitgehend ausgeblendet.

Vor dem skizzierten Diskussionshorizont über Vereine als Generatoren von Sozialkapital sowie als Radiatoren kognitiv-prozeduraler und Treibhäuser habitueller Bürgerkompetenz konzentriert sich das Forschungsprojekt auf die theoretische und empirische Analyse der zentralen Thesen über die binnen- und außenintegrativen Leistungen unterschiedlicher Vereine, wobei der Schwerpunkt der Forschungsarbeiten auf der Binnenintegration der Mitglieder als notwendiger Voraussetzung für deren Außenintegration liegt.

Methodik

Die empirische Untersuchung setzt sich aus einer Vorstudie (Auswahl von 24 Vereinen in Münster und Potsdam) sowie einer quantitativen und einer qualitativen Teilstudie zusammen. In der quantitativen Studie wurden zunächst durch eine Befragung der Vereinsvorsitzenden die organisationsstrukturellen Rahmenbedingungen der Vereine erhoben. Eine Totalerhebung der Vereinsmitglieder ab 18 Jahren dient dazu, die empirische Evidenz der Thesen über die Integrationsleistungen der Vereine zu analysieren. Primäre Intention der qualitativen Teilstudie ist die inhaltliche Aufdeckung der integrativen Prozesse – in das soziale System des Vereins sowie den daraus resultierenden gesellschaftsintegrativen Effekten – die durch eine aktive Vereinsmitgliedschaft zustande kommen.

Weitere Projektdaten

Projektteam: Prof. Dr. Sebastian Braun (Leitung der Nachwuchsgruppe), Dr. Stefan Hansen, Dipl.-Sozialwiss. Saskia Ritter, Dr. Kathrin Sliep, Dipl.-Sozialwiss. Christina Weiß

Laufzeit: 11/2002 bis 10/2006

Mittelgeber: Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des “Emmy-Noether-Programms”

Links: Emmy-Noether-Programm der DFG