Humboldt-Universität zu Berlin - ZASB

Wettkampfangst

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"Man muss lernen, einen Wettkampf zu genießen." (Katarina Witt, ehemalige Eiskunstläuferin)

 

Jeder Sportler, der schon mal Wettkämpfe bestritten hat, wurde mit dem Angstphänomen konfrontiert. Während im Training die Bewegungen mit großer Leichtigkeit gelingen, wirken sie im Turnier zögerlich und verkrampft. Nicht selten versagen die Nerven gerade in den wichtigsten Phasen des Wettkampfes. Haben Sie schon etwas Vergleichbares erlebt? Wie hat sich das angefühlt? Das ist eine sehr schmerzliche Erfahrung, die häufig ausweglos erscheint. Die gute Nachricht ist, dass Sie nicht der bzw. die Einzige sind, der/die an dem Wettkampfangstproblemen leidet und dass es Wege gibt, die Wettkampfangst in den Griff zu bekommen. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit den Fragen: Was ist Angst? Wie entsteht sie? Wie kann man sie messen? Wie beeinflusst sie unsere Leistungen? Was kann man dagegen tun?

 

Was ist Angst?

Bevor man sich mit der Frage auseinandersetzt, wie man Angst besiegt, muss man zuerst definieren, was Angst bedeutet. Es gibt mehrere Begriffe, die häufig synonym verwendet werden, die aber eine Differenzierung brauchen.

Erregung

Erregung ist eine Reaktion des physiologischen Systems, die mit einer erhöhten neuronalen Aktivität verbunden ist.  Die Auswirkungen der Erregung sind vor allem auf der körperlichen Ebene zu beobachten, z.B. Schwitzen der Hände, Errötung, Kribbeln im Bauch, Herzrasen oder Zittern der Hände. Erregung ist zunächst ein neutraler Begriff, der aber mit verschiedenen emotionalen Zuständen (z.B. Ärger, Freude, Angst etc.) in Verbindung  steht.  Beispielsweise kann das Herz sowohl aus Freude als auch aus Angst rasen.

Angst

Angst ist eine emotionale Reaktion, die aus einer einzigartigen Kombination von Spannungsgefühlen, Besorgnis und Nervosität besteht (Spielberger, 1989). Angst hat zwei Komponenten: eine kognitive Komponente (z.B. besorgniserregende Gedanken) und eine somatische Komponente (z.B. Erregung). Die somatische Komponente drückt die Intensität der Angst und die kognitive Komponente die Art der Angst (z.B. Angst vor der Niederlage oder Angst vor dem Gegner). Die Ansätze zur Reduktion der Angst können sowohl die somatische als auch die kognitive Komponente betreffen.

Zustandsangst

Angst kann sowohl in Form eines Zustands als auch in Form einer überdauernden Persönlichkeitseigenschaft auftreten. Zustandsangst bezieht sich auf einen vorübergehenden emotionalen Zustand, der durch subjektive, bewusst wahrgenommene Gefühle der Befürchtung und Anspannung charakterisiert wird. Zustandsangst ist sehr variabel und kann sich im Laufe des Wettkampfes legen oder verstärken. Wie sich die Zustandsangst im Laufe des Wettkampfes entwickelt, hängt von unseren Gedanken (kognitive Komponente) und von der Erregung (somatische Komponente) ab.

Ängstlichkeit

Ängstlichkeit ist eine grundsätzliche Neigung, Umstände als bedrohlich wahrzunehmen. Sie spiegelt die Tendenz wider, in bestimmten Situationen mit immer wiederkehrenden kognitiven und somatischen Mustern zu reagieren. Die Situation wird als bedrohlich wahrgenommen: z.B. „Ich muss schon wieder gegen so einen jungen Gegner antreten“. Sie färbt unsere Wahrnehmung so, dass wir viele gewöhnliche Situationen als Bedrohung ansehen.

Häufige Angstabwehrstrategien

Leistungssportler unterscheiden sich weniger dadurch, ob sie Angst haben oder nicht. Sie unterscheiden sich eher in der Art, die Angst auszudrücken und mit ihr umzugehen. Jeder Athlet hat seine Angstabwehrstrategien entwickelt, wie er die Angst kanalisiert. Viele Sportler verdrängen ihre Angst, wandeln sie in Aggressionen um, kompensieren sie durch zwanghaften Handlungen oder lenken sich ab, um die Angst nicht wahrzunehmen. Alle diese Strategien sind zwar eine mögliche Form, mit der Angst umzugehen, gehen aber meistens auf Kosten der Konzentration. Eine effektive Art mit der Angst umzugehen sind Rituale und Handlungsgewohnheiten.

Rituale und Handlungsgewohnheiten

Rituale signalisieren uns Stabilität und Geborgenheit. In der Regel führen wir eine Fülle von Ritualen und Gewohnheiten auf dem Sportplatz aus, die uns meistens nicht einmal bewusst sind. Diese normalen automatisierten Rituale, wie z.B. Tippen des Balles gegen den Boden vor dem Aufschlag beim Tennis, sind jedoch nicht mit zwanghaften Handlungen zu vergleichen. Auch ein gesunder Mensch ist auf Bewältigungsstrategien gegen die Angst angewiesen. Solche Rituale sind eher leistungsstabilisierend.

Intensität und Richtung der Wettkampfangst

Um den Angst-Leistungs-Zusammenhang wirklich zu verstehen, ist die Kenntnis von Intensität (Wie stark ist die Angst?) und Richtung (Wird die Angst positiv oder negativ interpretiert?) der Wettkampfangst ausschlaggebend.

Richtung: Wettkampfangst hat nicht nur negative Effekte auf die Leistung. Der englische Sportpsychologe Graham Jones (1995) zeigte, dass die Interpretation der Angstsymptome entscheidend zum Verständnis des Angst-Leistungs-Zusammenhangs ist. In einer Reihe von empirischen Studien haben Jones und seine Mitarbeiter festgestellt, dass positiv interpretierte Angst zu besseren Leistungen führt. Ob die Angst positiv oder negativ wahrgenommen wird, hängt jedoch maßgeblich von der wahrgenommen Kontrolle über die Situation ab. Wenn der Athlet über die Dauer des Wettkampfes zuversichtlich ist, dass der Wettkampf für ihn gut ausgehen wird, obwohl er selbst heute nicht so gut geschlafen hat, der Gegner heute sehr gut ist und der Belag etwas rutschiger ist als sonst, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der betroffene Athlet den Wettkampf gewinnen wird. Diese zuversichtliche Einstellung, dass man trotz widriger Umstände dennoch den Wettkampf zu eigenen Gunsten drehen wird, ist der entscheidende Faktor, ob man die Angst erfolgreich bewältigen wird. Die Forschergruppe um Jones hat gezeigt, dass Spitzensportler nicht weniger Angst haben als weniger erfolgreiche Sportler, sie zeichnen sich aber durch diese zuversichtliche Einstellung bei der Bewältigung der Angst aus.

Intensität: Intensität spiegelt den Grad der Anspannung bzw. der Erregung während der erlebten Angst wider. Es gibt zwei Erklärungen wie sich die Erregung auf die Leistung auf dem Sportplatz auswirkt: eine physiologische und eine psychologische Erklärung.  Die physiologische Erklärung besagt, dass eine erhöhte Anspannung zu einer Steigerung des Muskeltonus führt und zu einer

hohen Energiebereitstellung. Dadurch ermüdet der Muskel relativ schnell, was sich negativ auf die Leistungsfähigkeit im Laufe des Wettkampfes auswirkt. Darüber hinaus erschwert ein hoher Muskeltonus die Koordination der Bewegungen. Das wirkt sich negativ auf die Präzision und Ökonomie der Bewegungen aus. Auf lange Sicht kann der Athlet die Spannung nicht halten und bricht irgendwann ein. Die psychologische Erklärung besagt, dass sich die Anspannung auf die Aufmerksamkeit und Konzentration auswirkt. Vor allem wird der Aufmerksamkeitsfokus auf spezifische und häufig auch auf irrelevante Aspekte des Wettkampfes eingeengt. Damit können wichtige Aspekte des Wettkampfes (z.B. taktische Aspekte) untergehen. Das führt schließlich zu einem Einbruch der Leistungsfähigkeit. Um Wettkampfangst erfolgreich zu bewältigen, sollte man sowohl die Richtung als auch die Intensität der Angst bewältigen.

Strategien zur Bewältigung von Wettkampfangst

Auch wenn man sich mit der Wettkampfangst manchmal aussichts- und hilflos fühlt, kann man einiges dagegen machen und die Wettkampfangst langfristig besiegen. Wer geduldig und beharrlich an sich arbeitet, wird nach wenigen Monaten sichtliche  Fortschritte erzielen. Im Folgenden werden wir hilfreiche Strategien zum Umgang mit Wettkampfangst besprechen.

Wettkampfangst erkennen

Der erste Schritt, um die Wettkampfangst zu bewältigen, ist die Erkenntnis, dass man an Wettkampfangst leidet. Die meisten Athleten äußern nur selten ihre Probleme. Es ist deshalb auch eine wichtige Aufgabe des Trainers zu erkennen, inwieweit seine Athleten von Wettkampfangst betroffen sind. Die wichtigsten Indikatoren bzw. Symptome für Wettkampfangst sind:

  • kalte und schweißige Hände
  • häufiger Toilettengang
  • erhöhtes Schwitzen sogar vor der körperlichen Anstrengung
  • negative Selbstgespräche
  • erhöhte Muskelanspannung
  • Magenkrämpfe
  • sich Krankfühlen
  • Kopfschmerzen
  • trockener Mund
  • Schlafschwierigkeiten
  • Konzentrationsschwierigkeiten

In der Regel zeigen die betroffenen Athleten mehrere von diesen Symptomen. Wichtig dabei ist die Beobachtung, wie sich diese Symptome über die verschiedenen Situationen (z.B. mit und ohne Druck) verändern. Wenn diese Symptome häufiger in Wettkampfsituationen auftreten und im Training selten oder überhaupt nicht erscheinen, dann ist das ein Indiz für Wettkampfangst. Der beste Weg (der auch häufig übersehen wird), um die Wettkampfangst zu erkennen, ist es die Athleten direkt zu fragen. Deshalb ist auch eine vertrauensvolle Atmosphäre zwischen Athlet und Trainer einer der wichtigsten Aspekte einer produktiven Zusammenarbeit.

Akzeptieren der Wettkampfangst

Der zweite Schritt zur Bewältigung der Wettkampfangst ist die Akzeptanz der Situation. Nur wenn man akzeptiert, dass man an Wettkampfangst leidet, kann man auch etwas dagegen unternehmen. Die Wettkampfangst zu bekämpfen, zu ignorieren, zu leugnen oder zu verdrängen ist der falsche Weg.

Wenn wir die Angst bekämpfen, fließt die ganze Energie, die wir zu ihrer Bekämpfung verwenden, direkt in die Angst und vergrößert sie. Bei Leugnung und Verdrängung schieben wir die Probleme auf und lösen sie nicht. Nach einiger Zeit kehren die Probleme wieder und treten noch intensiver in Erscheinung als zuvor.

Nur wer sich seinen Gefühlen stellt und sie bewusst wahrnimmt, kann diese Krise produktiv bewältigen und noch stärker aus ihr herauskommen. Denn Ängste können auch als Quelle für eigenes Wachstum dienen. Wenn wir die Angst zulassen und nicht bekämpfen, sehen wir ein, dass wir Freiräume brauchen, um zu erkennen, was wirklich los ist. Dadurch können wir die notwendigen Veränderungen einleiten, die uns sportlich wie auch menschlich voranbringen. Es ist auch kein realistisches Ziel, total frei von Angst zu sein. Vielmehr sollen Athleten befähigt werden, mit Angst konstruktiv umzugehen und sich von ihr nicht mehr aus dem Konzept bringen zu lassen.

Entspannungstechniken lernen

Der dritte Schritt ist, die physischen Symptome in den Griff zu bekommen. Da die Stärke der Anspannung die Intensität der Wettkampfangst repräsentiert, sind die gängigen Entspannungstechniken die Methode der Wahl. Diese Techniken führen dazu, dass die Intensität der Symptome zurückgeht. Dazu existiert eine Reihe von Verfahren, die in der westlichen Gesellschaft mittlerweile eine große Popularität erlangt haben. Aufgrund der Tatsache, dass zu den Entspannungstechniken eine große Auswahl an Literatur vorhanden ist und an fast jeder Volkshochschule oder in vielen Sportvereinen Angebote für das Entspannungstraining angeboten werden, werden hier nur die wichtigsten Verfahren genannt. Der interessierte Leser kann sich in der speziellen Literatur über diese Techniken detaillierter informieren:

  • Atementspannung
  • Progressive Muskelrelaxation
  • Autogenes Training
  • verschiedene Formen von Biofeedback
  • Yoga
  • verschiedene Formen der Meditation
  • spezielle Formen des mentalen Trainings

Negative Gedanken erkennen

Entspannungstechniken werden die Intensität der Angst reduzieren, aber die gedanklichen Aspekte der Angst nicht beseitigen. Um sich von der Wettkampfangst vollkommen zu lösen, muss man sich der negativen Gedankenmuster bewusst werden. Dies ist mit Abstand der schwierigste Schritt von allen, da diese Denkmuster in der Regel so tief verwurzelt sind, dass sie uns sehr selten bewusst sind, obwohl sie unser Handeln auf dem Sportplatz und im übrigen Leben tagtäglich bestimmen.

Ein Weg, um die negativen Gedanken zu beseitigen, ist das Erlernen der Methoden der konzentrativen und der analytischen Meditation, die vor allem in buddhistischen Lehren weitverbreitet sind und die in den letzten 10 Jahren Eingang in die westliche Medizin und Psychologie gefunden haben. Bei dieser Art von Meditation übt man, seine Gedanken auf die Prozesse im Hier und Jetzt zu lenken. Nach einem gewissen Trainingsumfang lernt man, seine eigenen Gedanken zu beobachten und sie vorbei ziehen zu lassen. Mit dem Bewusstwerden der eigenen Gedanken, lässt die Kraft und Häufigkeit der negativen Gedanken nach.

Gedanken zur Ruhe bringen

Im nächsten Schritt geht es darum, die Gedanken zur Ruhe zu bringen. Normalerweise schwirren in unserem Kopf Gedanken unbewusst in alle möglichen Richtungen herum. Es wird geschätzt, dass uns 40.000 bis 60.000 Gedanken pro Tag durch den Kopf gehen, wobei 90% dieser Gedanken immer wieder die Gleichen sind bzw. sich auf die identischen Aspekte beziehen. Ausgenommen davon sind die bewussten Gedanken, die wir brauchen, um unser Leben zu organisieren, die täglichen Aufgaben zu planen, zu analysieren und zu reflektieren. Die unbewussten Gedanken sind wie ein permanentes Hintergrundrauschen (z.B. Kühlschrank), dass wir überhaupt nicht mehr wahrnehmen. Um mehr Klarheit in unser Leben zu bringen, brauchen wir mehr Ruhe in unserer Gedankenwelt. Um dies zu erreichen, sollten wir die Flut von Außenreizen (z.B. Handy, Fernsehen, Radio, Internet etc.) reduzieren und Übungen zur Ruhigstellung unserer Gedanken praktizieren. Die Techniken zur Ruhigstellung der Gedanken erfordern regelmäßiges Praktizieren, Disziplin und Ausdauer. Diese Praktiken können zunächst in ruhiger Umgebung eingeübt werden und nach einer gewissen Zeit auch auf dem Sportplatz in kleinen Pausen angewendet werden. Es ist empfehlenswert von erfahrenen Praktikern eine Einweisung in die meditativen Praktiken zu erhalten. Wissenschaftliche Studien der letzten 10 Jahre zeigen eindrucksvoll, dass solche meditativen Techniken, die auf Selbstachtsamkeit setzen, sehr große Effekte bei der Heilung von Angststörungen haben.

Mit Imagination die Gedanken steuern

Wenn wir die unbewussten Gedanken zur Ruhe gebracht haben, können wir unsere Gedanken gezielt auf bestimmte Aspekte unseres Lebens konzentrieren. Wir können unsere Gedanken und Vorstellungen in die Richtung lenken, die wir beabsichtigen. Durch die Bündelung der Gedanken haben wir viel mehr Kraft und innere Stärke, um mit den Anforderungen des Sports und des Lebens fertig zu werden. Wissenschaftliche Studien zeigen eindeutig, dass das Vorstellungstraining eine große Wirkung auf die Leistung im Sport hat. Wir wird uns klarer, was wir erreichen wollen und wie wir es erreichen können. Störende Gedanken und Angst werden uns dann kaum etwas anhaben. Für weitere Informationen lesen Sie bitte den Beitrag zum Thema Vorstellungstraining.